Es sind schlafende Riesen. Scheinbar. Die drei grossen Gebäude, die im Industriegebiet auf der Grenze zwischen Opfikon und Rümlang stehen, sind vollgepackt mit modernster Technologie, die bei Volllast so viel Strom braucht wie 50’000 Haushalte.
8000 Server-Schränke, die je über 40 Rechnern Platz bieten, bilden das Zuhause von Unmengen an Daten. Diese Server und Daten gehören Kunden wie internationalen Grossbanken, Industriebetrieben oder öffentlichen Verwaltungen, aber auch Cloud-Anbietern oder Telecomfirmen. Welche es sind, bleibt geheim. Die Branche ist diskret.
Willkommen im Rechenzentrum des Schweizer Ablegers des internationalen Anbieters Digital Realty, der bis Anfang September noch unter dem Namen Interxion firmierte.
Gut bewachte Daten
Die drei Gebäude sind Hochsicherheitstrakte. Angemeldete Gäste werden – nach Überwindung der ersten Aussenstahltür – von sechs Sicherheitsleuten empfangen. Daten, so sagt man nicht umsonst, sind das neue Gold. Und Gold bewacht man gut. Die Namen der drei Gebäude sind weniger tiefschürfend. ZUR1, ZUR2 und ZUR3 heissen sie.
Sobald ZUR3 in Betrieb geht, in ein paar Monaten, ist der «Zurich Campus» von Digital Realty der grösste Colocation-Standort der Schweiz. Der grösste Ort also, der die Fläche seiner Rechenzentren für Server anbietet und Kunden miteinander verbindet. Die Mutterfirma ist mit 300 Rechenzentren auf allen Kontinenten gemäss eigener Einschätzung weltweite Branchenführerin.
Alles Superlative. Auch dieser Satz: «Wir sind das bestvernetzte Gebäude der Schweiz.» Thomas Kreser spricht ihn aus. Er ist Marketing Manager von Digital Realty. Und er schiebt mit einem Lächeln nach: «Eigentlich produzieren wir nur heisse Luft.» Die brummenden Rechner erzeugen durch deren Kühlung viel Abwärme. Diese wird bald ins Fernwärmenetz der Flughafenregion geleitet.
50 Notstromgeneratoren
Das grosse Rechenzentrum bietet aber noch mehr. Wir begeben uns nach draussen. Dort stehen zahlreiche Container. Darin sind Notstromgeneratoren untergebracht. Jene neben dem Stammhaus, also ZUR1, erinnern an Schiffsmotoren. Es sind schwarze Maschinen, aus denen zahlreiche Schläuche führen. Der Generator, der uns gezeigt wird, ist warm. Er kann sehr schnell hochgefahren werden.
Neben den Containern ragen mächtige Schlote in den Himmel. Die Anlagen seien modern und alle mit Partikelfilter und anderem ausgerüstet, beteuert Kreser. «Nur» das CO2 gelangt in die Luft, wenn die Generatoren laufen. Die Kamine von ZUR2 und ZUR3 sind schmaler und eleganter. Diese Rohre sind fein säuberlich an der Aussenfassade angeordnet und bestens von aussen sichtbar.
Insgesamt hat Digital Realty knapp 50 Stromgeneratoren installiert. Die dieselbetriebenen Maschinen werden angekickt, wenn die Elektrizitätszufuhr unterbrochen ist. Das Datengold braucht ständig Strom.
Riesige Energiereserve
Digital Realty hat aus Gründen der Betriebssicherheit derart viele und starke Notstromgeneratoren, dass weit mehr als der eigene Bedarf gedeckt werden könnte. 17 Megawatt ist der Eigenbedarf, 56 Megawatt können die Generatoren erzeugen, sobald ZUR3 ans Netz geht. Differenz: 39 Megawatt, wie Yves Zischek, Geschäftsführer von Digital Realty, vorrechnet. «Diese Energie können wir im Fall einer Strommangellage zur Verfügung stellen und damit die Stromlieferanten entlasten», sagt Zischek.
Da das Rechenzentrum Strom liefern statt beziehen würde, ist die Richtzahl für die Entlastung der Stromlieferanten – also zum Beispiel EKZ/Axpo – 56 Megawatt. Das reicht für 158’000 Privathaushalte, so Zischek. Addiert man die 72 Megawatt, welche das andere rund halbe Dutzend Gross-Rechenzentren im Kanton Zürich erzeugen könnte, kommt man auf 128 Megawatt.
Dieselstrom reicht für alle Haushalte
Damit könnten gut 360’000 Haushalte mit Strom beliefert werden. Dabei hat Digital Realty konservativ gerechnet, nämlich mit 4 Personen pro Haushalt. Im Kanton Zürich leben aber durchschnittlich 2,2 Personen in einem der insgesamt 700’000 Haushalte. Somit würde der Strom aus den Dieselgeneratoren für fast alle Haushalte im Kanton reichen. Da auch die Industrie, die Spitäler, die Verkehrsbetriebe viel Strom brauchen, kann man verkürzt sagen: Die Rechenzentren könnten den halben Kanton Zürich mit Strom versorgen.
Doch so einfach ist es nicht. Digital Realty habe zwar schon vor einigen Monaten erkannt, dass die Firma trotz riesigem Stromhunger «nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung» sein könnte, wie sich Zischek ausdrückt. Und: «Wir haben beschlossen, unsere Hilfe anzubieten.» Er hat sich mit den Behörden in Verbindung gesetzt, aber bald feststellen müssen: «Die Schweiz ist suboptimal auf eine Strommangellage vorbereitet.»
So gebe es verschiedene Aussagen, wie viel Strom die privaten Generatoren in der Schweiz liefern könnten. Eine gute Übersicht habe er bisher nirgends gefunden, sagt Zischek. Deshalb hat nun der Branchenverband Asut eine entsprechende Erhebung lanciert.
Problem: Grosser CO2-Ausstoss
Die Gespräche mit den staatlichen Stellen dauern an, was nebst organisatorischen auch umweltrechtliche Gründe hat. Die Dieselgeneratoren erzeugen grosse Mengen des Klimakillers CO2 und teils auch anderer Schadstoffe, weshalb sie nicht mehr als 50 Stunden im Jahr laufen dürfen. So will es die Umweltgesetzgebung. Diskutiert wird eine temporäre Aufweichung der Luftreinhalteverordnung.
Der grüne Zürcher Baudirektor Martin Neukom hat Ende August im Kantonsrat gesagt, dass man im Gespräch mit dem Bund sei, um die Rahmenbedingungen anzupassen. Denn die 50-Stunden-Limite «reicht natürlich nicht», wie er klarstellte. Er habe zwar nicht im Sinn, die langfristigen Klimaziele über Bord zu werfen, aber kurzfristig, im Notfall, müsse der Kanton Zürich auf die Notstromaggregate zurückgreifen können – auch wenn diese mit Diesel betrieben werden und viel CO2 ausstossen.
Das Bundesamt für Energie (BFE) von Simonetta Sommaruga (SP) bestätigt auf Anfrage Gespräche mit den Rechenzentren und lobt, dass deren Notstromaggregate modern sind, also «in der Regel die Umweltstandards erfüllen». Es gebe aber noch keine Entscheide.
Laut BFE stellen «die Integration und die notwendige zentrale Steuerung sowie die Versorgung einer Vielzahl von Anlagen mit Diesel eine grosse logistische Herausforderung» dar. Ein Notstromaggregat verbrauche 250 Liter Diesel, um eine Megawattstunde Strom zu produzieren. Das heisst, eine Maschine verbraucht pro Tag so viel wie ein Einfamilienhaus fürs Heizen in einem Jahr.
Notfall mit Armee geübt
Die Nachschubproblematik ist Yves Zischek bewusst. Seine Firma hat Verträge, damit die Lieferungen gewährleistet sind. Vor vier Jahren hat sie das Notszenario sogar mit der Schweizer Armee geübt. An Lager hat sie mehr als 500’000 Liter Diesel, damit kann sie im Minimum fünf Tage mit Vollpower produzieren.
Dem Geschäftsführer ist aber bewusst, dass die Firma einen Teil der Autonomie abgibt, wenn sie mit dem Staat zusammenarbeitet. «Das können wir nur in einer Notlage akzeptieren», sagt Zischek. In einer Notlage sei es aber auch sinnvoll, die 50-Stunden-Regel temporär ausser Kraft zu setzen, findet er.
Was verlangt Digital Realty für die Nothilfe? «Wir wollen nicht an der Not verdienen», hebt der Geschäftsführer hervor. Der öffentlichen Hand würde er die Amortisationskosten und die Wartung der Maschinen während der Lieferzeit in Rechnung stellen. Und natürlich den Diesel.
Eine hypothetische Rechnung: Bei 100’000 Litern am Tag macht das beim aktuellen Dieselpreis von rund 2.30 Franken pro Liter 230’000 Franken am Tag nur für den Treibstoff. In einem Monat summierte sich der Betrag auf 7 Millionen Franken.
«Es ist nicht die günstigste Lösung», sagt Zischek. Aber sie ist aus seiner Sicht schnell und relativ unkompliziert realisierbar.